
Einblicke und Interviews
An dieser Stelle möchten wir Ihnen Einblicke in die Schlaganfallforschung und die Schlaganfallversorgung geben.
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Schlaganfall bei jungen Menschen
Interview mit Dr. Alexander Nave
Dr. Nave ist Arzt und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für Schlaganfallforschung Berlin und der Klinik für Neurologie der Berliner Charité.
Wenn im Zusammenhang mit Schlaganfall von "jüngeren Menschen" die Rede ist, welche Altersgruppen sind damit gemeint?
Schlaganfall ist zwar primär eine Krankheit des Alters, aber weltweit ereignen sich etwa ein Viertel aller Schlaganfälle bei Menschen unter 65 Jahren und jeder siebte Schlaganfallpatient ist jünger als 50. Bei Patienten im Alter zwischen 18 und 50 Jahren spricht man vom Schlaganfall beim jungen Menschen oder dem sogenannten juvenilen Schlaganfall. Manchmal wird auch das Alter zwischen 18 und 55 Jahren als Altersgrenze genommen.
Gibt es bei den jüngeren Schlaganfallpatienten Unterschiede zwischen Männern und Frauen?
Zwischen 18 und 35 Jahren sind Frauen statistisch gesehen häufiger vom Schlaganfall betroffen als Männer. Bei ihnen spielen das Risiko der Pille – vor allem im Zusammenspiel mit Rauchen – und der Risikofaktor Migräne mit Aura eine besondere Rolle. Deutlich mehr Frauen als Männer leiden unter Migräne. Auch Schwangerschaften erhöhen das Risiko für einen Schlaganfall: Um die Entbindung, bzw. die Zeit kurz nach Entbindung, ist das Schlaganfallrisiko erhöht. In der Altersspanne von 35 bis 50 Jahren sind dann Männer häufiger vom Schlaganfall betroffen.
Immer wieder liest man Meldungen, dass die Anzahl der Schlaganfälle bei jüngeren Menschen anscheinend steigt. Auf welchen Daten beruhen diese Aussagen, wie belastbar sind sie?
Diese Daten stammen zumeist aus Registern, die auf den Diagnosekodierungen der Krankenhäuser beruhen. Im Juni 2017 wurde beispielsweise eine solche Studie aus Amerika von George et al. im anerkannten Journal JAMA Neurology publiziert. Ähnliche Studien gibt es auch aus Europa bzw. Schweden und Frankreich. Alle Studien zeigen einen Anstieg in den Schlaganfallzahlen bei jüngeren Menschen, wohingegen die Anzahl an Schlaganfallpatienten insgesamt stagniert bzw. zurückgeht.
Ein vermehrtes Auftreten von Schlaganfällen kann aber auch z. B. durch veränderte Definitionen und Diagnosemethoden begründet sein. In der Schlaganfalldiagnostik spielt beispielsweise die MRT-Bildgebung eine immer größere Rolle. Sie ist qualitativ besser geworden und wird mittlerweile sehr häufig eingesetzt, so dass heutzutage auch Schlaganfälle erkannt werden, die vor 10 oder 15 Jahren unentdeckt geblieben wären.
Es scheint also einen Trend zu geben, jedoch lässt sich nicht mit letzter Gewissheit sagen, wie groß der Anstieg tatsächlich ist.
Sind die Ursachen für Schlaganfälle bei jüngeren Menschen andere als bei älteren Menschen?
Wir finden in der Altersgruppe von Schlaganfallpatienten zwischen 18 und 35 Jahren überwiegend andere, meist angeborene Ursachen als beim typischen älteren Schlaganfallpatienten: Herzfehler, Gerinnungsstörungen, vermehrt Gefäßeinrisse – sogenannte Dissektionen – und seltene Syndrome. Auch angeborene Fettstoffwechselstörungen können das Risiko für Schlaganfall erhöhen. Wir und andere Arbeitsgruppen konnten Hinweise dafür finden, dass beispielsweise auch ein erhöhtes Lipoprotein (a) gerade für junge Menschen einen Risikofaktor darstellt. In der Altersgruppe der 35 bis 50-jährigen hingegen findet man vorwiegend die klassischen Ursachen, wie Gefäßverkalkung oder ein durch Herzrhythmusstörung aus dem Herzen eingeschwemmtes Blutgerinnsel, die zu einer Verengung oder gar Verschluss einer Arterie führen können. Bei diesen Patienten kommen zumeist die typischen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Übergewicht, Rauchen und geringe körperliche Aktivität zum Tragen. Auch in dieser Altersgruppe könnten durch einen gesünderen Lebensstil mit ausreichender Bewegung und gesunder Ernährung sowie einer optimalen Einstellung des Blutdrucks und Nikotinverzicht viele Schlaganfälle verhindert werden. Vor allem ausreichende Bewegung scheint ein wichtiger Faktor zu sein, bei dem man ansetzen sollte.